Die Mär vom Bär und seinem Fell

Das war sie also, die Premiere der Practical World. Die Stimmung war sowohl unter den Ausstellern als auch unter den Fachbesuchern überwiegend freundlich. Doch natürlich muss einem die drastisch gesunkene Zahl der Messegäste Gedanken machen

Das war sie also, die Premiere der Practical World. Das Positive vorweg: Die Stimmung war sowohl unter den Ausstellern als auch unter den Fachbesuchern überwiegend freundlich. Überwiegend, wie gesagt. In den Bereichen Eisenwaren und Sanitär und bei den Unternehmen, die sich stärker als Produktionsverbindungshandel definieren, konnte man auch laute Moll-Töne vernehmen. Aber es gab eben auch da die Aussteller, die von „tollen Gesprächen“, „bestem Messeauftritt seit langem“ etc. sprachen. Und je größer beim Lieferanten die Rolle des Einzelhandels bzw. der Anteil von Bau- und Heimwerkerprodukten war, in desto strahlendere oder zumindest aufgehelltere Gesichter konnte man blicken.
Gefragt, weshalb denn gerade diese ausstellenden Unternehmen so mit der Practical World zufrieden waren, kamen immer wieder zwei fast stereotype Antworten:
 „Im Messevorfeld haben unsere Vertriebsleute massiv bei den Partnern auf der Handelsseite auf die Practical World aufmerksam gemacht.“
 „Unsere Aktionen am Stand haben für Interesse gesorgt, sowohl bei denen, die wir speziell eingeladen haben, als auch beim normalen Laufpublikum.“
Es ging also, man konnte trotz deutlich verringerter Besucherzahlen eine eigene „Standkonjunktur“ fahren. Die 25 Prozent weniger Besucher haben ihrerseits offensichtlich ihre Anzahl der Standbesuche erhöht. Immerhin!
Doch natürlich muss einem die drastisch gesunkene Zahl der Messegäste Gedanken machen. Gründe dafür gab es viele. Das Konzept der neuen Practical World ist immer noch unklar, die Werbung ließ zu wünschen übrig, der zweijährliche Wechsel zwischen Hard- und Soft-DIY hat eher verwirrt als geholfen. Ein Besucher: „Die Practical World war ja ganz schön, aber wann findet denn jetzt die Eisenwarenmesse statt?“
Auch die Zahl der Aussteller aus Deutschland ist zurück gegangen, „Chinatown“ wächst dagegen weiter an. Das Rahmenprogramm wurde erweitert, das neue Dienstleistungszentrum in Halle 3.1 ist ein erster Schritt in die richtige Richtung. Positive Ansätze gibt es also, auch viele Verantwortliche für die Probleme. Denn daran trägt beileibe nicht die Kölnmesse allein die Schuld. Lieferanten und Händler sollten sich da an die eigene Nase fassen.
Erstaunlich ist aber der Wille vieler, auch von Branchenvertretern, die Practical World bereits jetzt weiter zu exportieren: neben Shanghai auch nach Osaka, Sao Paulo, in die USA. Ja auch von Nordafrika ist die Rede. Da wird das Fell des Bären verteilt, bevor er erlegt ist. Ich bitte um Aufklärung: Wie kann man ein Modell erfolgreich exportieren, das zuerst noch im Heimatland beweisen muss, dass es funktioniert? Gut, das gab es schon. Schließlich fährt der Transrapid auch in Shanghai und nicht in Deutschland. Und der heißt jetzt noch nicht einmal Obi-Express. Nur eine Duplizität der Ereignisse?
Ihr
Dr. Joachim Bengelsdorf
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