Zeit der Tabubrüche

Bei den Kooperationen bewegt sich was. Fühler werden ausgestreckt, Kontakte geknüpft, Möglichkeiten der Zusammenarbeit diskutiert

Bei den Kooperationen bewegt sich was. Fühler werden ausgestreckt, Kontakte geknüpft, Möglichkeiten der Zusammenarbeit diskutiert. Der zunehmende nationale und internationale Wettbewerb, der massive Preisdruck, der auf den Händlern lastet, aber auch ein gehöriges Maß an Nachholbedarf treiben viele Kooperationszentralen und ihre Gesellschafter dazu an, neue Wege zu gehen und zu denken, was bisher als undenkbar galt. Zeit der Tabubrüche also auch im Baustoff- und Baumarktbereich.
Verhandelt und gesprochen wird augenblicklich kreuz und quer miteinander. Große und kleine, nationale und regionale Händler versuchen, ihre Wettbewerbssituation zu verbessern. Gemeinsame Einkaufsgemeinschaften, Vertriebsgesellschaften in Fernost, Kooperationspartner für den B2B-Bereich, Marketingverbünde: Jedes Zehntelprozent Vorteil soll rausgepresst werden.
Langsam muss bei bestimmten Vorhaben auch wirklich „Butter bei die Fische“ kommen. Die groß angekündigten B2B-Pläne einzelner Händler lassen immer noch auf eine marktreife Umsetzung warten. Da helfen dann auch noch so schöne Netz-Präsentationen nichts. Ähnlich sieht es aus mit so manchem Einzelhandelskonzept, das von eher baustofflastigen Marktteilnehmern entwickelt und nach und nach bei seinen Gesellschaftern umgesetzt wird – oder erst noch werden soll. Ein geschlossenes Bild bietet sich da leider nicht: „Hic Rhodos, hic salta!“
Der Juni ist traditionsgemäß der Monat der Hauptversammlungen der großen Kooperationen. Die I&M machte dabei in Neuss den Anfang. „Leonardo“ heißt also das Kind der fruchtbaren Zusammenarbeit mit IBS. Der Ansatz ist richtig, kein Zweifel. Doch muss gerade bei den kleineren Gesellschaftern noch einiges an Überzeugungsarbeit geleistet werden. Denn natürlich ist die Angst groß, in einem neuen Verbund nur noch eine marginale Rolle zu spielen.
Dass der Wind schärfer weht, hat man auch an den Äußerungen des I&M-Aufsichtsratsvorsitzenden in Richtung Hagebau gemerkt. Nun, „aktive Marktakquisition per Telefonrundruf“ – um ein harmloses Wort zu gebrauchen – ist an sich nicht ehrenrührig, auch nicht für ein Handelsunternehmen. Doch bekanntlich setzt der Handel ja noch auf Umgangsformen. Auch ein Tabubruch also?
Kritisch hinterfragt werden muss bei „Leonardo“ allerdings, ob es wirklich Sinn macht, mit zwei weiter bestehenden Zentralen und zwei Markenkonzepten in eine gemeinsame Zukunft zu gehen: In Neuss fiel ab und an auch das Wort „Fusion“. Synergien, nur eine Worthülse? Oder will man Europa kopieren und zwischen Brüssel und Straßburg, sprich Bad Nauheim und Karlsruhe, hin und her pendeln? Oder sollen das nur Beruhigungstropfen sein für die Mitarbeiter? Das neu erworbene Neubaugrundstück in Karlsruhe ist noch nicht veräußert.
Dr. Joachim Bengelsdorf
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