Eine indische Lösung

 
Was heißt hier Neuanfang? Wenn am 31. Dezember nachts zwölf Mal die Glocke schlägt, dann fängt ja in Wirklichkeit nichts Neues an. Gut: ein Jahr, das man zählt. Aber sonst? Unser Leben schreitet voran, der Planet dreht sich weiter und die Wirtschaft hört auch nicht einfach so auf, weiter zu produzieren und zu verkaufen.Vereinfacht dargestellt, gibt es zwei Vorstellungen, wie unser Leben sich entfaltet: zyklisch oder linear. Die Chinesen sehen ihre Geschichte im Prinzip als eine lange Folge zuerst entstehender, dann andauernder und schließlich wieder untergehender Dynastien. Aus der Asche der alten entsteht eine neue Kultur und alles fängt von vorne an. Im Prinzip gibt es keinen Fortschritt und die Han-Dynastie (206 v. Chr. - 220 n. Chr.) steht auf keiner höheren Entwicklungsstufe als die Ming-Dynastie (1368 - 1644).Unsere westliche, antik-christlich-jüdische Vorstellung vom Verlauf der Geschichte ist dagegen eine stete lineare Erfolgsgeschichte: Es geht in der Regel immer aufwärts, Kultur, Wissen und Wohlstand breiten sich kontinuierlich aus. Es geht von unten links nach oben rechts stets bergan. Auch die Japaner empfinden so den Zeitverlauf.Das Jahr 2007 hat uns gezeigt, das keines der beiden Modelle für die Erklärung der kurzfristigen Entwicklung unserer DIY-Branche wirklich brauchbar ist. Langfristig, so glaube ich schon, trifft doch eher das lineare Modell zu. Aber trifft es wirklich ganz?Wer rein linear denkt, empfindet jede noch so geringe Abweichung von dieser gewünschten Linearität als Bedrohung des gesamten Systems. Planabweichung - Katastrophe!; unvorhergesehene Ereignisse - unflexible Reaktionen! Für den zyklisch denkenden Menschen kann es dauerhaften Fortschritt eigentlich gar nicht geben. Denn nichts ist von Dauer, er empfindet Geschichte als eine Abfolge langer Jahreszeiten. Da begibt man sich auch mal gerne ergeben in sein Schicksal.Vielleicht hilft ja eine Mischform, so wie beispielsweise in Teilen Indiens die Zeit empfunden wird. Sie ist linear und zyklisch zugleich. Es gibt den Aufstieg und den Niedergang von Kulturen, aber gleichzeitig ist die nächste Kultur immer etwas besser als die vorhergehende. Es gibt also Fortschritt bei einem gewissen Maß an Kontinuität.Hat das Aussagekraft für DIY? Je unberechenbarer und überraschender sich unsere Branche entwickelt, desto hilfreicher kann es sein zu wissen, dass die lineare Verlaufskurve auch einmal nach unten gehen kann und dass es aber danach auch ganz sicher wieder aufwärts gehen wird. Alles ist Prozess, wer beharrt - gerade im strategischen Denken -, der verliert. Leben heißt sich anzupassen: an Herausforderungen, an neue Entwicklungen - und an den 1. Januar als den Beginn eines neuen Geschäftsjahres!
Dr. Joachim Bengelsdorf
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