Professor Julian Nida-Rümelin
„Entscheidend ist die Motivation“:
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Interview

Rennen in die falsche Richtung

Der „Akademisierungswahn“ ist der Grund für den Fachkräftemangel in Deutschland. Ein diy-Gespräch mit Professor Julian Nida-Rümelin.
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Herr Professor Nida-Rümelin, Sie beklagen einen „Akademisierungswahn“ in Deutschland. Was konkret verstehen Sie darunter?
Der Grad der Akademisierung ist in den vergangenen Jahren dramatisch gestiegen. Konkret stieg die Quote in Deutschland von rund 35 Prozent im Jahr 2007 auf 55 Prozent im Jahr 2013. Verbunden damit ist die Botschaft an die Schülerinnen und Schüler: Wer es nicht zur Hochschulreife schafft, hat versagt. Damit einher geht eine Abwertung der praktischen Berufe. Dies ist, vereinfacht ausgedrückt, die Ursache für unseren Fachkräftemangel.
Aber bieten nicht tatsächlich akademische Berufe mehr Chancen?
Die Spreizung beim Verdienst von Akademikern ist extrem hoch. Humanmediziner verdienen gut, ebenso wie Ingenieure und Informatiker, auch wenn sich bei diesen beiden Berufsgruppen bereits eine gewisse Sättigung am Markt abzeichnet. Wirtschaftswissenschaftler und auch kaufmännische Berufe ebenso wie Architekten und Zahnmediziner, Sprach- und Kulturwissenschaftler dagegen verdienen teilweise sehr wenig. Auch Naturwissenschaftler stehen oft nicht gut da.
Was schlagen Sie vor?
Wir bräuchten für alle Studiengänge entsprechende Eignungsprüfungen, um die Zahl der Studienabbrecher zu verringern. Wem ist damit gedient, wenn man im zehnten Semester merkt, dass ein Fach nicht für einen geeignet ist?
Und was empfehlen Sie Lehrlingen bzw. den ausbildenden Betrieben?
Den Unternehmen empfehle ich, nicht ausschließlich auf die Noten zu achten. Die sind zwar wichtig, besser aber ist, herauszufinden, ob jemand wirklich mit Motivation an eine Aufgabe herangeht.
Relativ schwierig, wenn es zu wenige Bewerber gibt ...
Richtig. Deshalb tun die Unternehmen gut daran, die Zusammenarbeit mit den Schulen vor Ort zu suchen. Denn zu wenig Jugendliche wissen, wie viele Möglichkeiten, wie viele unterschiedliche Berufe es gibt und welche Möglichkeiten und Chancen diese bieten. Gefordert ist aber natürlich auch die Schule selbst, die Schülerinnen und Schüler über die Wirklichkeiten des beruflichen Alltags zu informieren.
Das heißt, die Schulabgänger sind mangelhaft auf ihren künftigen beruflichen Werdegang vorbereitet ...
Leider ja. Wir müssen aber auch sehen, dass wir es mit einer neuen Generation mit ihren spezifischen Stärken und Schwächen zu tun haben. Viele der jungen Menschen sind geprägt von einer gewissen Überempfindlichkeit und sind wenig belastbar. Die Krankheitsquote beispielsweise ist ungewöhnlich hoch. Und sie haben Angst, sich früh festzulegen. Auf der anderen Seite sind…
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