Intellektuelle Steinewerfer

Es ist immer spannend, über andere Menschen und Firmen Gerüchte zu lesen, so lange man nicht selbst davon betroffen ist. Getratscht wird ja gerade dann, wenn es zwischen Menschen in verantwortlichen Positionen Probleme gibt. Doch der Schaden, der damit angerichtet wird, ist immens - für die ganze Branche

Wer von uns tratscht nicht gerne über Kollegen, über andere Unternehmen, über die Branche im allgemeinen? Bei mir als Journalisten gehört dies praktisch zum täglich Brot. Ein Praktiker-Verkauf dort, etwas Hellweg-Getratsche da, gewürzt mit vermeintlichen Obi-Internas. Früher oder später landet so jedes Handelsunternehmen auf meinem Tisch. Ohne Informationen, auch solche, die vertraulich oder auf einer dürftigen Grundlage geäußert werden, könnte ich meinen Job nicht ausüben. Ich muss aber mit dem, was ich höre oder lese, verantwortungsvoll umgehen. Und ich muss mich später meiner Verantwortung stellen.
Auch wer sich nicht aus religiöser Überzeugung danach richtet, so wirkt das ethische Korsett der Bibel auch noch dort, wo wir Gott aus dem Bereich unseres persönlichen Handelns verbannt haben. Viele Mitbürger kennen eine Menge an Sprüchen und Redewendungen, die aus der Bibel stammen. Sie auch zu beherzigen, scheint allerdings viel schwerer zu sein. „Wer unter Euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“, sagt Jesus im Johannes-Evangelium zu denen, die eine vermeintliche Ehebrecherin steinigen wollen. Ein schöner Spruch, für manche scheinbar nicht mehr als ein Spruch.
Natürlich, ich gebe es zu, interessiert es mich, was über andere in der Branche geplaudert wird. Gerade auch dann, wenn es Ärger gegeben hat und ein vermeintlich Schuldiger gefunden wurde. Ich muss aber als Journalist auch bei der Recherche klar machen, was in diesem Zusammenhang geht und was nicht. Und: Alle Seiten – der Journalist wie auch sein Gesprächspartner – haben die Pflicht, wenn über andere geredet wird, die nicht mit am Tisch sitzen, besonders zurückhaltend zu agieren.
Es ist immer spannend, über andere Menschen und Firmen Gerüchte zu lesen, so lange man nicht selbst davon betroffen ist. Getratscht wird ja gerade dann, wenn es zwischen Menschen in verantwortlichen Positionen Probleme gibt. Und dann wird auch gerne darüber berichtet, ohne den Betroffenen zu befragen; manchmal ist die Informationsbasis solcher „Neuheiten“ mehr als dürftig. Den Schaden, den diese intellektuellen Steinewerfer dann anrichten, ist immens. Sie schaden sich, sie schaden dem Medium, sie schaden der ganzen Branche. Sie zerstören Vertrauen, sie beschädigen Beziehungen, sie können Unternehmen ruinieren.
Letztendlich liegt es auch an mir, dem Leser, dem Radio-Hörer, dem TV-Seher, ob ich mich für solche fragwürdigen News wirklich interessiere. Wir – und unsere Reaktion darauf – schaffen erst den Markt dafür, der solches ermöglicht.
Dr. Joachim Bengelsdorf
P.S.: Scheuen Sie sich aber bitte nicht, uns auch weiterhin mit „Ihren“ Branchen-Neuigkeiten zu versorgen. Wir gehen damit verantwortungsvoll um, versprochen!
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