Geist ist geiler

Den Umsatz durch Preissenkungen anzukurbeln, ist kein Geniestreich. Aber wo bleiben die geist- und erfolgreichen Gegenstrategien?

„Endlich einer, der den Mund aufmacht.“ Das war die Tonlage der Reaktionen auf die offenen Briefe, die der Hagebau-Gesellschafter Frieder Bolay den Chefs von Praktiker und Hornbach geschickt und die wir auf DIYonline veröffentlicht hatten. Unter dem Betreff „Preispolitik“ stellt der Betreiber eines Hagebaucentrums und eines Hagebaumarktes die Sinnfrage: Was soll die Rabattwut des einen, was die Niedrigpreisstrategie des anderen, was eine Expansion „ohne Rücksicht auf fremde oder eigene Verluste“? „An wie vielen Standorten verdienen Ihre Wettbewerber nichts und Sie auch nichts?“
Sein Vorschlag: Alle Preise um drei bis fünf Prozent rauf, mehr Geld in Personal investieren, mehr Lohn zahlen und selbst damit beginnen, die Binnenkonjunktur anzukurbeln. „Dann wird Baumarkt richtig schön.“
Diese Argumentation betört. Nur: Den Geist der Marktwirtschaft, auf die sich Unternehmensinhaber wie angestellte Manager gern berufen, atmet sie nicht. Denn Markt ist keine Veranstaltung kollektiver Vernunft, gegen die sich beispielsweise Hans-Joachim Körber, Chef der Praktiker-Mutter Metro, wendet. Ist deshalb das, was Praktiker macht, gleich individueller Irrsinn, der eine ganze Branche in den Ruin treibt?
Markt ist Wettbewerb – um den günstigsten Preis. Dass es dabei nicht nur um den Produktpreis geht, sondern auch darum, was Kunden für Beratung und Service, fürs Einkaufserlebnis oder für die Selbstbestätigung durch Marken zu zahlen bereit sind, steht auf einem anderen Blatt.
Den Umsatz durch Preissenkungen anzukurbeln, ist kein Geniestreich. Aber ganz abgesehen davon, ob die Rechnung aufgeht, ob sich so Kunden binden lassen, ob das Renditen bringt: Wo bleiben die geistreichen Gegenstrategien? Wo die griffigen Ideen im Marketing? Wo die Kreativität in Nadelstreifen?
Leicht ist die Rolle des Schurken also nicht zu besetzen. Gute Mittelständler gegen böse Konzerne? Die gesamte Branche betätigt sich im Verdrängungswettbewerb, nicht nur die Preisdrücker machen dem Eisen-Karl um die Ecke mit dem Verkäufer im grauen Kittel das Leben schwer. An dem Preisniveau, an dem der DIY-Handel jetzt angekommen ist, haben nicht nur ein paar schwarze Schafe gearbeitet.
Dem kühlen Charme der reinen Marktwirtschaftslehre erliegen nicht nur die zu Schnäppchenjägern konditionierten Kunden, sondern auch diejenigen, die eigentlich aufrecht gegen den Ungeist der Prozente streiten: Der Deutsche Handelspreis ging 2004 an Media-Saturn, ein Unternehmen, das die Konsumverweigerung zum Daseinszweck erhoben hat.
Da macht ein Zwischenruf wie der von Frieder Bolay doch nachdenklich. Hat, wer Marktmacht hat, nicht auch Verantwortung? Wer zahlt eigentlich die Zeche? Die Verbraucher? Die Industrie? Oder am Ende der Handel selbst? Klar, der freie Markt ist schon klasse. Aber wäre Geist nicht geiler?
Lust auf mehr? Die offenen Briefe finden Sie unter www.DIYonline.de in der Rubrik DIYplus/Dokumentation.
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