Dr. Joachim Bengelsdorf

Editorial

Fluch und Segen

Die Liste der von Wettbewerbern übernommenen Praktiker- und Max Bahr-Standorte wird immer länger. Inzwischen ist die Zahl der Märkte, die auf Wettbewerbsformate umgestellt werden, auf rund 75 Stück angewachsen (siehe Seite 16 in diesem diy-Heft). Das ist zuerst einmal eine gute Meldung, werden doch erstens in aller Regel die meisten Angestellten übernommen und zweitens die Umsätze in der Branche gehalten. Die Gefahr, dass Letztere in benachbarte Vertriebskanäle (Fachhandel, Möbelhandel etc.) abwandern, ist nämlich durchaus gegeben.Und da die Marken-Doppelpleite auch einige positive Auswirkungen auf die notwendige und überfällige Marktkonsolidierung in Deutschland hat, ist ebenfalls die ein oder andere Standortschließung bzw. -umwidmung nicht gerade schädlich für die Branche als Ganzes. So hat der Praktiker/Max Bahr-Umstellungsprozess, wie er gerade stattfindet, auch positive Aspekte, kann durchaus ein Segen sein.Dass die Lieferanten an den Übernahme- und Umstellungskosten beteiligt werden, hat diese wohl am wenigsten überrascht, denn das sind sie eigentlich gewohnt. Und dass gerade die Herstellerunternehmen, die bisher bei Praktiker bzw. Max Bahr gelistet waren, ein gehöriges Interesse daran haben, weiter liefern zu dürfen, ist nur allzu verständlich.Der Herstellerverband Haus & Garten (HHG) hat jetzt aber in einer Pressemitteilung warnend auf die "Forderungen nach Neueröffnungskonditionen" seitens der Baumarktbetreiber hin­gewiesen (s. Meldung in diesem diy-Heft auf S. 9). Der Verband weist dabei nicht nur auf die unterschiedlichsten Konditionen hin, die verlangt werden, sondern auf die schiere Menge der Marktumstellungen, die auch die Industrie mittragen und mitfinanzieren müsse. Das sei eine echte Herausforderung, so der HHG.Und diese wird noch größer, wenn Teile von dem, was man als Journalist unter vorgehaltener Hand erzählt bekommt, auch nur ansatzweise stimmt. Von erwarteter kos­tenloser Erstbelieferung ist da die Rede, von geforderten dauerhaften Preisnachlässen in Höhe von drei und vier Prozent, von verlangten Werbekostenzuschüssen, die völlig neue Dimensionen erreichen würden, von der Verlängerung von Zahlungszielen - das ganze bekannte Industrie-Folterins­tru­men­tarium eben. Auch wenn durch die teilweise Weiterführung und Umwidmung der Konkurs gegangenen zwei Vertriebslinien die Lieferanten überhaupt erst eine Weiterbelieferungsmöglichkeit bekommen, so ist diese für sie aber erstens aufgrund der durch die Pleite erfolgten Belastungen und zweitens wegen der neu entstehenden Übernahmekosten fast nicht zu meistern.Die Reibereien haben gerade erst begonnen. Mal sehen, wer sich am Ende durchsetzt und ob die gesamte Branche etwas Positives aus der augenblicklichen Situation macht oder ob es auch, wie zu befürchten ist, eine Menge Verlierer geben wird.
Dr. Joachim Bengelsdorf
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