Joachim Bengelsdorf

Editorial

Willkommene Werkstattlose

Die Zahlen sind beeindruckend. In den vergangenen 20 Jahren ist die Anzahl der Beschäftigten im deutschen Handwerk um 1,9 Mio. zurückgegangen. Gleichzeitig nahmen die Handwerksbetriebe in Deutschland um rund 180.000 Unternehmen zu. Zwei gegenläufige Entwicklungen, die sich doch scheinbar ausschließen und einer Erläuterung  bedürfen. Kann es diese überhaupt geben?
Das Rätsel löst sich auf, wenn man einen Blick auf das wirft, was die Hagebau in ihrem aktu­ellen "Hagebau Report 2015" "das Phänomen der werkstattlosen Handwerker" nennt. Die Zahl der so genannten "mobilen Generalisten" ist nämlich von 2004 auf 2014 um 50.000 auf insgesamt 120.000 Betriebe gestiegen. Der von ihnen erwirtschaftete Umsatz hat demnach 2014 bereits 14,7 Mrd. € betragen und soll bis 2020 auf rund 20 Mrd. € steigen.
"Der 'mobile Generalist' von heute ist der traditionelle Handwerker von morgen", meint Martin Langen, dessen Firma B+L Marktdaten die Studie durchgeführt hat. Und diese neue Handwerkerspezies hat deutliche Kostenvorteile, vor allem im Personal- sowie im Gebäude- und Maschinenbereich: Keine Verwaltungskosten und keine Abschreibungen führen dazu, dass sie gerade bei privaten Endkunden stark nachgefragt werden. Hinzu kommt die immer größer werdende Zahl an Hausmeisterdiensten etc., die ähnliche Strukturen und ein vergleichbares Einkaufsverhalten aufweisen.
Die Mitarbeiterzahl der werkstattlosen Hand­werksbetriebe beträgt gerade einmal 1,6. 63 Prozent sind Ein-Mann-Betriebe. Und sie machen den größten Teil ihres Umsatzes mit gerade einmal drei Gewerken, nämlich mit Fußboden-, Maler- und Trockenbauarbeiten. Die Spezialisierung insbesondere auf Montagearbeiten spricht primär die private Kundschaft an. Die größten Zielgruppen bilden hier 52- bis 60-Jährigen, direkt gefolgt von den 28- bis 35-Jährigen. Das scheint ein Generationen übergreifendes Phänomen zu sein. Nebenaufträge werden unkompliziert umgesetzt. Das sei kein Wunder, meint die Hagebau, denn die Kundenzufriedenheit sei für den "mobilen Generalisten" die einzige Werbeform.
Wenn ein Handelsunternehmen wie die Hagebau diese neue Kundengruppe ihren Fachhändlern ans Herz legt, wie könnten die Baumärkte diese einfach ignorieren? Ins Bild dazu passt die Entscheidung von Bosch, mit ihrer blauen Reihe, die ja bisher dem Fachhandel vorbehalten war, jetzt auch in die Baumärkte zu gehen. Die strenge Einteilung in bestimmte Vertriebskanäle gelte heute nicht mehr, so Bosch: "Heimwerker als auch Profis kaufen bereits heute kanalübergreifend." Werkstattlose Handwerker scheinen überall willkommen zu sein.
J. Bengelsdorf
Kontakt: Tel.: +49/7243/575-208 • j.bengelsdorf@daehne.de
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