Michael Steinert (von links), Ruth Prinzmeier, Oliver Koopmann, Thomas Hülsmann und Karsten Brandt diskutierten über Nachhaltigkeit. 
Michael Steinert (von links), Ruth Prinzmeier, Oliver Koopmann, Thomas Hülsmann und Karsten Brandt diskutierten über Nachhaltigkeit. 

Tapetengipfel

Ideen für die Tapete von ­morgen

Der Tapetengipfel, der nach einer Corona-bedingten Pause in diesem Jahr wieder vor Ort in Darmstadt stattfand, gab den Teilnehmern viele Ideen für ihre Arbeit an die Hand. Sehr präsent war dabei das Thema Nachhaltigkeit.     

Fast drei Jahre ohne ein großes Branchentreffen in Präsenz – den Mitgliedern und Unterstützern der „Deutschland tapeziert“-Kampagne war deutlich anzumerken, wie sehr die Austauschmöglichkeiten in der Corona-Zeit gefehlt hatten. Mehr als 90 Teilnehmer waren zum Tapeten-Gipfel in der Orangerie in Darmstadt gekommen, um sich Inspirationen für die anstehende Saison zu holen und sich zu vernetzen. Karsten Brandt, Geschäftsführer des Verbands der Deutschen Tapetenindustrie (VDT) und dessen Tochterunternehmens, dem Deutschen Tapeten-Institut (DTI), sowie der VDT-Vorstandsvorsitzende Michael Caspar gaben den Startschuss für die Konferenz.

Brandt und Manuel Donner von der Partner-Agentur Earnesto berichteten vom bisherigen Verlauf der Branchenkampagne „Deutschland tapeziert“. Man habe dabei vor allem auf Influencer gesetzt und damit tolle Reichweitenzuwächse erzielt, hob Donner hervor – pro Beitrag auf Facebook, Instagram oder Pinterest rund 37.000 Nutzer. 17 aktive Markenbotschafter zähle die Kampagne bislang. Es gab Tapetenwochen im Oktober 2021 und Februar 2022. Darüber hinaus wurde der Content optimiert und die Partner auf Hersteller- und Handelsseite mit individualisierten Werbemitteln versorgt. Zudem gab es ein Gewinnspiel – mit reger Teilnahme, wie er unterstrich. „Mehr als 1.000 Personen beteiligten sich an der Verlosung“, sagte Donner. Generell sei eine zunehmende Interaktion der Verbraucher zu spüren.

Über 90 Teilnehmer zählte das diesjährige Branchentreffen in Darmstadt. 
Über 90 Teilnehmer zählte das diesjährige Branchentreffen in Darmstadt. 

Für die Saison 2022/2023 hat bereits ein Kreativ-Workshop stattgefunden und ein erstes, grobes Konzept wurde entwickelt. „In diesem Jahr wollen wir etwas Neues probieren“, sagte der VDT-Geschäftsführer. Unter dem Motto „Wanderful fashion“ sollen die Tapeten, orientiert an Trends aus der Modewelt, als Gestaltungselement für die eigenen Wände präsentiert werden. Im Fokus stehen dabei animierte Bilder: In 30-sekündigen Spots füllt sich eine Schwarz-Weiß-Wohnsituation nach und nach mit Farbe. Mit einer Basiskampagne soll zunächst ein Grundrauschen bewirkt werden, eine Partnerkampagne dient dann als zusätzlicher Reichweitentreiber. Zweimal im Jahr sind außerdem Branchentreffen geplant, ein Gipfel und ein internes Diskussionstreffen. Darüber hinaus soll es Workshops geben und eine Statistik erarbeitet werden. Marktteilnehmer könnten außerdem eigene Themen vorschlagen.

Einer der Partner wird in diesem Jahr nicht dabei sein. „Doch wir sind der Meinung: Deshalb sollten 39 Partner ihre Zusammenarbeit nicht beenden“, merkte Brandt an. Man hole daher bis Ende Juni Antworten interessierter Unternehmen ein, erarbeite im August ein finales Konzept, sodass im September ins vierte Kampagnenjahr gestartet werden könne. Im Oktober stünden die nächsten Tapetenwochen an.

Es sei wichtig zu sehen, dass es auch andere Bereiche gibt, die ebenfalls zur Tapetenbranche gehören, sagte Brandt, beispielsweise die Hersteller von Spachtelmassen. Dadurch habe man die Chance, auch einmal andere Ansichten auf aktuell relevante Themen kennenzulernen. Einen solchen Blick über den Tellerrand erlaubte der Vortrag von Marcel Deggau, Managing Director bei Vescom. Er sprach über Probleme, die auftreten können, wenn man über Dispersionsspachtelmassen tapeziert. Es komme zu Blasenbildung und das Material löse sich durch Feuchtigkeit im Klebstoff von der Wand. Zwar warnten bereits Teile der Tapetenindustrie und einige Spachtelmassenhersteller vor solchen Risiken, sagte er, jedoch treffe das nicht auf alle Beteiligten zu. Aus diesem Grund wolle man nun Grundlagen schaffen, Verarbeiter, den Handel sowie Ausschreiber aufklären und Tests starten. Darüber hinaus sei vonseiten aller Hersteller eine klare Kennzeichnung über mögliche Auswirkungen im Aufbringen von Dispersionsspachtelmassen und Tapeten nötig, unterbreitete er dem Publikum. 

Tipps zum Vertrieb über Amazon gab der Digitalexperte Adrian Jaroszynski. Mit den Sortimenten Baumarkt und Wohnen ließen sich hohe Umsätze auf dem Marktplatz erzielen, unterstrich er. Dazu sei jedoch ein ganzheitlicher Ansatz notwendig. Man müsse den Kunden als allerwichtigsten Stakeholder im Blick behalten. Um auf Amazon erfolgreich zu sein, sei es wichtig, bei ihm auf rationaler und emotionaler Ebene zu punkten.

Kundenzentriertheit war ebenfalls beim Beitrag von Silvia Talmon vom Weiterbildungsinstitut The Retail Academy ein Thema. Sie gab Anregungen, wie Anbieter am POS punkten können – etwa, indem sie aktuelle Megatrends aufgreifen. So sei Luxus infolge der Pandemie wichtiger geworden, ebenso Angebote rund um Gesundheit, Neoökologie, Sicherheit, New Work oder Personalisierung. Dabei sei es wichtig, dass jedes Unternehmen nach der eigenen, richtigen Strategie suche. „Die eine perfekte Lösung gibt es nicht“, sagte die Fachfrau. Das Marketing sei nach der eigenen Zielgruppe auszurichten, ebenso gehe das passende Format vom Kunden aus. Die Vielfalt möglicher Shop-Konzepte machte sie anhand einer Vielzahl an Beispielen deutlich. So habe Swarowski einen Flagship-Store eröffnet, der einem Süßwarengeschäft ähnele, Louis Vuitton habe in Soho mit einem Pop-up-Store überrascht und Gucci setze auf Omnichannel. Relevant dabei sei, so Talmon, digitale Hilfsmittel intelligent in den Laden einzubauen, sodass das Markenbild weiterhin erhalten bleibe. Als Themen der Zukunft im Handel nannte sie außerdem das Metaverse, Kollaborationen und Partnerschaften sowie Space Sharing. Am Beispiel des Porsche Studios erläuterte die POS-Expertin, dass ein Showroom nicht dafür da sei, Ware vorzuhalten – gekauft werde im Onlineshop. Stattdessen stünden der Erlebnischarakter und die Möglichkeit, Materialien anzufassen im Vordergrund. Das lasse sich auch auf die Tapetenbranche übertragen, empfahl sie: ein Geschäft vor Ort, in dem Besucher die Stoffe erfühlen und auf sich wirken lassen können, verknüpft mit einem Onlineshop.

Der großzügige Saal in der Orangerie bot genügend Platz, um trotz dem durch Corona gebotenen Abstand ins Gespräch zu kommen. 
Der großzügige Saal in der Orangerie bot genügend Platz, um trotz dem durch Corona gebotenen Abstand ins Gespräch zu kommen. 

Die Pandemie und ihre Auswirkungen zogen sich durch zahlreiche Vorträge. So berichtete die Wohnanalystin Ursula Geismann in ihrem Beitrag zum Wohnen und Einrichten der Zukunft, die Branche habe zunächst von Corona profitiert. Die Deutschen hatten Zeit und Geld übrig, die sie gern in ihr Zuhause investierten. Dass infolge von Lockdowns und Home-Office mehr Zeit daheim verbracht wurde, verstärkte diese Entwicklung. Entsprechend sei der Umsatz im Möbel- und Küchenhandel zunächst gestiegen, werde nun aber gebremst aufgrund von Lieferengpässen und einer zunehmenden Kaufzurückhaltung. Die selbstständige Möbelexpertin stellte ihre Erkenntnisse rund um globale Megatrends vor. Diese seien, erklärte sie, beeinflusst von der Kultur in der jeweiligen Region und vom Geldbeutel. Als einen Trend nannte sie die digitale Transformation, die sich auch auf Wohnräume erstrecke. So gebe es mittlerweile Apps für den Herd, die Badewanne, die Türsprechanlage oder den Rasensprenkler. Der Mensch könne bei diesen rasanten Veränderungen oft nicht mithalten, erläuterte sie und verwendete dafür den Begriff digitaler Neandertaler. Er nutze seine Einrichtung als Gegenpol zur Digitalisierung, wähle zum Beispiel eine Tapete, die an eine alte, venezianische Villa erinnere. Er wünsche sich Gemütlichkeit und Idylle, pflege analoge Hobbies, wie stricken oder Schallplatten hören. Dieser Trend treffe auf eine zunehmende Urbanisierung. Man wünsche sich gesellige Dörflichkeit in der Großstadt, sichtbar zum Beispiel an Weihnachtsmärkten, Public Viewings oder Wohngemeinschaften mit gemeinsamer Küche. Entsprechend multifunktionale Möbel würden notwendig, berichtete die Wohnexpertin weiter. Auch beliebt und ebenso flexibel sei Ausstattung für das Leben auf kleinster Fläche, etwa in einem Tiny House. Ein weiterer Trend ist die Neo-Ökologie. Sie schlägt sich nieder in der Nachfrage nach Recycling- und Naturmaterialien, Sharing-Angeboten, veganen, Bio- und Fairtrade-Produkten sowie dem Thema Wohngesundheit. Abschließend teilte Geismann eine Beobachtung mit den Zuhörern: In der Tapetenbranche sei früher ein Fokus vor allem auf die Funktion der Wandbeläge gelegt worden, mit der Zeit sei das Design immer wichtiger geworden. „Wäre es nicht eine Idee, den Funktionsaspekt wieder in den Vordergrund zu rücken?“, schlug sie vor.

Hier (https://www.ursulageismann.de/schwoererhaus ) ein kleiner Einblick in Ursula Geismanns Vortrag.

Auch im „Trendbook 2023/2024“ von Gabriela Kaiser von der gleichnamigen Trendagentur nimmt Nachhaltigkeit eine zentrale Rolle ein. Sie stellte verschiedene derzeit angesagte Einrichtungsstile vor, wie den des Botanical Urbanist, mit einem Mix aus städtischen Elementen, zum Beispiel Fotodrucke, grafische Motive und matte Oberflächen in Verbindung mit Grüntönen und organischen Mustern. Der Cosy Naturalist entspricht einer zeitgemäßen Interpretation des Landhausstils, mit warmen, natürlichen Farben, haptischen Oberflächen und unregelmäßigen Formen. Der Elegant Traditionalist verwendet hochwertige Produkte in dunklen Farben im Kontrast mit sehr hellen Tönen sowie opulente, königliche Optiken. Ganz anders ist der Cool Modernist. Er mag reduziertes Design, kühle Farben und große Elemente mit weichen Verläufen. Eine Abkehr von der Welt des Überflusses verkörpert der Mindful Minimalist. In diesem Stil kommen aufbereitete Konsumgüter vor, außerdem findet man dort naturbelassene Oberflächen, eine Pastellpalette und Terrazzo-Optiken. Romantisch und verspielt ist der Emotional Sensualist. Er mag flauschige, glitzernde und blumige Elemente. 

Nachhaltige Konzepte waren Inhalt einer Podiumsdiskussion mit Thomas Hülsmann, Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Vinyl Plus Deutschland, Oliver Koopmann, Teamleader Qualitätsentwicklung & Nachhaltigkeit bei Bauhaus, Ruth Prinzmeier, Sustainability Manager beim Bodenbelagshersteller Interface, und Michael Steinert, Herausgeber der Zeitschrift „BTH Heimtex“, moderiert von Karsten Brandt. Beim Umsetzen von Maßnahmen im Sinne der Nachhaltigkeit sei es wichtig, die eigenen Mitarbeiter mitzunehmen, zeigte sich Prinzmeier überzeugt. Seine Ziele erreiche man nur, wenn alle die gleiche Sprache sprechen, führte sie aus. Interface ist seit 2019 klimaneutral, nun wolle man CO2-negativ werden, berichtete die Nachhaltigkeitsverantwortliche. Der Kauf von Zertifikaten sei beim Ausgleich von CO2-Emissionen nur der letzte Schritt, betonte sie. Koopmann von Bauhaus gab zu: „Die Baumärkte stehen bei diesem Thema erst am Anfang.“ Man begrüße die Zusammenarbeit mit der Industrie und bevorzuge Branchenlösungen, wie bereits beim Test von Mehrweg-Pflanzentrays. Hülsmann stimmte ihm zu. Entscheidend sei, sich klare Ziele zu setzen. Alles Weitere könne man gemeinsam entwickeln. Darüber hinaus sei Recycling ein elementarer Bestandteil, um Nachhaltigkeit nach vorne zu bringen und CO2 zu sparen, sagte Hülsmann. Zunächst müsse geklärt werden, was Nachhaltigkeit für alle Beteiligten bedeutet. Dafür plane der VDT gemeinsam mit den Herstellern ein Treffen im Sommer, um Schwerpunkte im weiteren Vorgehen zu definieren, warf Brandt ein. Ein erster guter Schritt, um Vergleichbarkeit zu schaffen, sei die Umwelt-Produktdeklaration EPD (Environmental Product Declaration), schlug Hülsmann vor. Sie beschreibt Umweltwirkungen auf Basis von Ökobilanzen sowie funktionale und technische Eigenschaften während des gesamten Lebenszyklus eines Bauprodukts. Damit würden Werte festgelegt, auf die sich alle Teilnehmer einigen könnten. Das sorge für Transparenz und gleiche Qualitäts- sowie Umweltstandards und beuge Greenwashing vor. Koopmann zeigte sich überzeugt: „Die Konsumenten müssen besser aufgeklärt werden.“ Steinert entgegnete, die großen Player müssten Vorreiter sein, da sie die Marktmacht besäßen. Koopmann widersprach: „Alle sind gefordert, Handel, Konsumenten und auch Gesetzgeber.“ Dafür sei besonders der Austausch in der Branche und darüber hinaus wichtig. Prinzmeier plädierte fürs Anfangen: „Wir müssen jetzt loslegen, die Zeit läuft.“ 

Produktnachweis für nachhaltiges Bauen

Umweltproduktdeklarationen (englisch: EPD – Environmental Product Declaration) werden für die Nachhaltigkeitszertifizierung von Gebäuden gefordert. Sie beinhalten Angaben zum Lebenszyklus eines Bauprodukts, Ökobilanzkennwerte sowie Prüfergebnisse für eine Detailbewertung. Umweltproduktdeklarationen werden von Experten erstellt und von unabhängiger Seite verifiziert, bleiben aber in der Verantwortung des Herstellers. EPDs können von Unternehmen zu Marketingzwecken oder als Steuerungsinstrument genutzt werden. Handel und Endverbraucher finden darin geprüfte umweltrelevante Produktinformationen. Das deutsche Deklarationssystem für EPDs von Bauprodukten wird vom Institut Bauen und Umwelt organisiert, einer Initiative von Baustoffherstellern, die für das nachhaltige Bauen eintreten.

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