Die Trend-Farbpalette bringt natürlich-inspirierte Töne mit künstlich anmutenden, knalligen Farben zusammen.   
Die Trend-Farbpalette bringt natürlich-inspirierte Töne mit künstlich anmutenden, knalligen Farben zusammen.   

Heimtextil | Langfassung

Techno-Handwerker bei der Arbeit

KI-Einsatz und handwerkliche Tradition schließen sich nicht aus, finden die Designexperten von Alcova. In den Heimtextil-Trends 2026 präsentieren sie Werke, die Einflüsse aus beiden Welten vereinen.

Mit einem – wie sie selbst findet – provokanten Titel hat die Mailänder Designplattform Alcova die Heimtextil-Trends 2026 überschrieben: Craft is a verb. Provokant ist diese Überschrift vor allem deshalb, weil die Maßgabe in dieser Saison war, über künstliche Intelligenz zu reflektieren – eine Technologie, die man nicht auf den ersten Blick mit Handwerkskunst in Verbindung bringt. Genau diese Brücke wollen die Designexperten mit ihrem Trendausblick bauen.

Während neue Technologien die Art des Zusammenlebens, den Alltag und die Arbeit – auch die von Designern – zunehmend bestimmen, wachse gleichzeitig die Angst vor dieser Veränderung. Das führe dazu, dass handwerklich Gefertigtes aktuell wertvoller denn je werde. Das sei kein neues Phänomen, berichtete Joseph Grima von Alcova. Schon in der industriellen Revolution, die die Art und Weise zu produzieren fundamental verändert hat, war die Angst, etwa vor dem Verlust eines Arbeitsplatzes, sehr präsent. Als Reaktion auf die beschleunigte Industrialisierung wurde beispielsweise mit dem Bauhaus-Stil oder der Wiener Bewegung der Wert von klassischem Handwerk wiederentdeckt. 

„Es wird zwar eine Verdrängung geben“, gibt Grima zu, „doch gleichzeitig bieten diese Entwicklungen auch eine Chance der Ermächtigung.“ Schließlich seien viele Innovationen, von denen Menschen heute profitieren, erst durch neue Technologien möglich geworden. Die Designplattform sieht den Nutzen von künstlicher Intelligenz nicht als Widerspruch, sondern als Erweiterung der menschlichen Arbeit, zum Beispiel in Form des Techno-Handwerkers, der in einer der sechs Trendrichtungen im Fokus steht, die die Forscher für die nächste Ausgabe der Messe Heimtextil ermittelt haben. „Visible Co-Work“ heißt die Vorgehensweise, bei der Mensch und KI Hand in Hand an einem Projekt arbeiten. Damit lassen sich zum Beispiel digital bestickte Leinen oder 3D-gestrickte Patchwork-Arbeiten anfertigen.

Wenn sich künstliche Intelligenz und Handwerk auf Augenhöhe begegnen, entstehen hybride Arbeiten, die Codes und Tradition miteinander vereinen, wie bei diesem Werkstück.   
Wenn sich künstliche Intelligenz und Handwerk auf Augenhöhe begegnen, entstehen hybride Arbeiten, die Codes und Tradition miteinander vereinen, wie bei diesem Werkstück.  (Quelle: Messe Frankfurt)
Manche Designs wirken wie aus einer anderen Welt.
Manche Designs wirken wie aus einer anderen Welt. (Quelle: Messe Frankfurt)

Der erste Trend, „Re: Media“, betrachtet das Hin und Her zwischen verschiedenen Medien. Zeichnungen werden zunächst in digitale Renderings übertragen, anschließend in Jacquards oder handgestickte Muster zurückgeführt. Dabei entstehen Motive, die sich an sogenannten Glitches orientieren – gebrochene Ästhetiken, verpixelte Farbverläufe und digital überarbeitete Handzeichnungen.

Bei „Sensing Nature“ ist hingegen die Natur der Generator von Formen, Farben, Geräuschen und Strukturen. Die künstliche Intelligenz nimmt sie auf und gestaltet daraus Muster. So wurde bei einem Beispiel der Seegang aufgenommen und auf die Textilien übertragen, andere Künstler setzten Geräusche aus ländlichen Regionen in Entwürfe um und bei einem weiteren Stoff wurden Bilder von Baumrinde als Vorlage verwendet.

„A Playful Touch“ soll ein Gegenentwurf sein in Zeiten, die von Nützlichkeit und Effizienz geprägt sind. Kleine dekorative Details schmücken die Objekte und dienen einem einzigen Ziel: schön zu sein. Eine Rüsche an einem ansonsten minimalistischen Vorhang, ein Neon-Element auf einer naturfarbenen Leinendecke oder eine unerwartet platzierte Quaste dienen als bewusste Unterbrechungen.

Kleine, verspielte Details prägen das Design von „A Playful Touch“.
Kleine, verspielte Details prägen das Design von „A Playful Touch“. (Quelle: Messe Frankfurt)

„Crafted Irregularity“ feiert – wie der Name schon sagt – die handgemachte Unregelmäßigkeit. Gewebe mit Knötchen, unregelmäßigen Färbungen, sichtbaren Nähten und asymmetrischen Abschlüssen rücken in den Mittelpunkt. „Wir wollen gegen geglättete, perfekte Oberflächen anarbeiten“, betont Valentina Ciuffi von Alcova.

Im letzten Trend wird es ein wenig unheimlich und gleichzeitig interessant. Verzerrte, unvertraute Symbole treffen hier auf Designs, die Technik in einen menschlichen Kontext setzen. Manche Objekte sehen aus, als habe man das Innenleben einer Maschine nach außen gekehrt.

Das Spannungsfeld zwischen neuen Technologien und handwerklichem Schaffen verdeutlicht auch die Farbpalette, die Alcova für die kommende Heimtextil-Ausgabe zusammengestellt hat. Hier finden sich erdverbundene Töne ebenso wie künstlich anmutende Farben. Man habe visuell polarisiert mit der Farbpalette, merkt Alice Moretto vom Mailänder Designerteam an. Die Trendexperten sehen die Farben aber schon in Kombination: Durch die unerwartete Paarung lässt sich das homogene Ergebnis disruptiv beeinflussen, so die Intention. Und gleichzeitig verstärke die Mischung die jeweils andere Palette, weiß Ciuffi.

Unerwartet war auch das Stichwort, als sich das Trendforscherteam damit auseinandergesetzt hat, ob und in welchem Anwendungsfeld künstliche Intelligenz den Menschen ersetzen kann. Joseph Grima ist davon überzeugt, dass Designer sich darüber keine Sorgen machen müssen. „Design soll originell sein und überraschen, es soll eine Bedeutung schaffen.“ Etwas, was eine KI nicht kann, ebenso wenig wie intuitiv handeln. Das wiederum ist ein Aspekt, der für das Alcova-Team eine große Rolle spielt. Erfahrungen und Gefühlen seien hier ebenso wichtig wie das Berühren der Textilien. „Der physische Raum ist am Ende des Tages entscheidend, um mit neuen Trends in Verbindung zu treten“, ist Ciuffi überzeugt.

Charakteristisch für die Trendrichtung „Re: Media“ sind glitch-artige Motive, verpixelte Farbverläufe und digital verfremdete Handzeichnungen.
Charakteristisch für die Trendrichtung „Re: Media“ sind glitch-artige Motive, verpixelte Farbverläufe und digital verfremdete Handzeichnungen. (Quelle: Messe Frankfurt)
Die Arbeit von Jonas Hejduk macht ein fiktionales Szenario auf, in dem ein Meteorit auf der Erde eingeschlagen ist und dadurch ein Objekt und die Auflösung verändert.
Die Arbeit von Jonas Hejduk macht ein fiktionales Szenario auf, in dem ein Meteorit auf der Erde eingeschlagen ist und dadurch ein Objekt und die Auflösung verändert. (Quelle: Messe Frankfurt)

Diesen Raum wollen die Kuratoren mit dem Trendareal schaffen, das zur Heimtextil vom 13. bis 16. Januar 2026 in Halle 6.1 der Messe Frankfurt zu sehen sein wird. „Wir wollen inszenieren“, sagt Grima, „etwas schaffen, was man intuitiv erfahren kann, ohne Tafeln mit viel Text.“ Spürbare Texturen treffen hier auf generative Muster, natürliche Strukturen auf algorithmische Präzision. Mit „Craft is a verb“ veranschaulichen die Kuratoren, welche Designs entstehen, wenn Handwerk und digitale Gestaltungsmethoden verschmelzen.

„Die Heimtextil Trends 26/27 verdeutlichen, wie künstliche Intelligenz die Textilbranche verändern wird und im Zusammenspiel mit handwerklicher Expertise neue Perspektiven eröffnet. Sie liefern der Branche Impulse für nachhaltige Produktionsweisen, innovative Kooperationsmodelle und die Entwicklung zukunftsfähiger Geschäftsstrategien“, ergänzt Olaf Schmidt, Vice President Textiles & Textile Technologies der Messe Frankfurt.

Dies ist die Langversion des Beitrags aus der Printausgabe diy 11/2025.

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