Die Mercedes-Benz-Lehre

Im Zusammenschluss scheint für viele der Weisheit letzter Schluss zu liegen. Da wird zusammengekleistert, was nur geht. Doch wachst da wirklich zusammen, was zusammen gehört?

Erinnert sich noch jemand an die frühen 90er Jahre? Was waren wir stolz darauf, wie Edzard Reuter zusammen mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden Alfred Herrhausen die Mercedes-Benz AG sein Unternehmen mit zahlreichen Akquisitionen zu einem sogenannten „integrierten Technologiekonzern“ umbaute: Debis, Dornier, Dasa, MTU, AEG, MBB? Wie die Geschichte ausging, wissen wir alle. Die Visionen eine Mannes erwiesen sich als Seifenblasen, die schneller platzten, als alle erwarteten.
Was hat das mit den Baumärkten in der Gegenwart zu tun? Ein Blick in den kooperativen Bereich genügt: Im Zusammenschluss scheint hier für viele der Weisheit letzter Schluss zu liegen. Da wird zusammengekleistert, was nur geht. Dachdecker fusionieren mit Baustoffspezialisten, Baumarktbetreiber arbeiten mit Haushaltswarenanbietern zusammen, ein 500-Quadratmeter-Laden kooperiert mit einem 8.000er-Markt, ein Franchisenehmer sitzt in der Gesellschafterversammlung neben einem selbständigen Marktbetreiber, direkte Wettbewerber müssen nach Fusionen plötzlich sehen, wie sie miteinander auskommen, und sollen Eintracht demonstrieren.
Wächst da wirklich zusammen, was zusammen gehört? Wird da zusammengezimmert, was auch zusammen passt? Völlig unterschiedliche Kulturen sollen innerhalb kürzester Zeit zusammenfinden. Warenwirtschaftssysteme werden eiligst verschmolzen, Lieferanten neu gelistet, ein neues Marketingkonzept erarbeitet. Gleichzeitig müssen bei verschiedenen regionalen Marktteilnehmern die Regionen aufeinander zugehen, müssen Einkaufsausschüsse gebildet werden. Und der Wettbewerber schläft während dieser ganzen Zeit auch nicht!
Die erwarteten Synergien sind gewaltig. Natürlich: Die Anfangserfolge dank Datenabgleich der Lieferanten sind sehr groß. Doch danach: Wie sehen die Gebilde dann aus, ist etwas harmonisch Ganzes entstanden? Habe ich auf den richtigen Partner gesetzt oder habe ich mir den Wolf ins eigene Bett geholt? Sprechen meine Ostfriesen die gleiche Unternehmenssprache wie die Schwaben? Arbeiten plötzlich zwei Unternehmen, die früher direkte Wettbewerber waren, jetzt auch wirklich zusammen? Lasse ich die anderen an meinem Zentrallager wirklich partizipieren oder suche ich mir nur die raus, die mir passend erscheinen? Die Gerüchteküche über mögliche weitere Fusionen und Übernahmen brodelt auf jeden Fall wieder heftig. Mal sehen, in welcher Sprache demnächst auf einer Pressekonferenz wieder eine überraschende Neuigkeit verkündet wird: in einem rheinischen Dialekt, auf Platt oder vielleicht auf Bayerisch?
Dr. Joachim Bengelsdorf
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