Wenn am 30. Oktober der Industrieverband Garten (IVG) zum 16. IVG-Forum Gartenmarkt ins Maritim Hotel in Düsseldorf einlädt, wird auch Theresa Schleicher als Referentin auf der Bühne stehen. Sie gilt als führende Handels-Zukunfts-Forscherin in der DACH-Region, ist Zukunfts-Sparringspartnerin für Handelsunternehmen, dem Zukunftsinstitut und für das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz. Die Autorin mehrerer Trendstudien war lange Geschäftsführerin der Hirschen Group, einer der größten Beratungs- und Kreativunternehmen im deutschsprachigen Raum. In Düsseldorf spricht Schleicher über die kommenden Trends und Kundenwünsche an den Handel – dem diy-Fachmagazin hat sie schon vorab Einblicke gewährt. Anmeldungen zur Veranstaltung sind unter www.ivg.org/forum-gartenmarkt möglich.

Frau Schleicher, mit welchen Themen befasst sich die neue Studie?
Theresa Schleicher: Die Studie beleuchtet die langsam zurückkommende Zuversicht der Menschen und damit die Potenziale sowie unter anderem die Möglichkeiten generativer KI im DIY. Dabei geht es nicht nur um eine rein technologische Perspektive: Derzeit stellen wir uns als Menschen auch grundsätzliche Fragen – etwa zu unserem psychologischen Sinn oder zum neuen Wert von Offline-Erfahrungen. Genauso stellt sich gerade aber auch einiges im Verhalten der Menschen um und wir experimentieren, wie smart und bequem der Alltag sein soll, und was wir künftig noch selbst tun möchten und müssen.
Welche Bewegungen formen die Zukunft des Gartenmarkts?
Menschen wollen überrascht werden – und das ist nicht widersprüchlich zu dem Wunsch nach Beständigkeit und Qualität. Allerdings sind unsere DIY-Märkte ziemlich gesättigt, die Höhe des Warenkorbes oft ausgereizt bis rückläufig. Gleichzeitig passen sich viele Händler an: ähnliche Produkte, Services, POS-Designs. Wenn hier etwas passieren soll, im Sinne von Wachstum, dann geht das entweder mit animierender Überraschung oder mit dem Aufkaufen der anderen Unternehmen. Ein Trend, den ich mir statistisch und mit vielen internationalen Beispielen angeschaut habe, ist der Trend zur Inspirational Intelligence – Initiativen und (technologische) Methoden, um Menschen zu inspirieren und zu überraschen. Damit geht auch die wichtige Entwicklung einher, dass Hyperpersonalisierung nicht darin enden kann, all das zu machen, was ein Kunde sagt, sondern herauszufinden, was ihn inspirieren kann und ihn wachsen lässt. Kein Mensch will morgen noch so sein, wie er gestern war.
Welche Rolle wird KI für den Gartenmarkt und -handel in Zukunft spielen?
Besonders generative KI ist ein Kulturformer. Sie verändert unser Selbstverständnis als Menschen: Wir lernen, dass wir vieles gar nicht mehr selbst machen müssen – weder so oft, noch so viel, wie wir vielleicht dachten zu müssen. Das bringt auch Wertigkeit zurück, wenn wir Dinge selbst machen – ein Plus für die grüne Branche. Gleichzeitig gewöhnen wir uns daran, das Maximum aus Produkten in dieser Welt sehr schnell herauszuholen. Daraus entstehen neue Sortimentsanforderungen – sogenannte Super-Performance-Kategorien. Mit KI-Tools wächst das Gefühl, dass grundsätzlich jeder ein Garten- oder anderes Projekt starten kann, wenn er es möchte, das schafft neue Zugänge.
Auf Seite der Gartenhändler wird zukünftig die Frage wichtig: Wie können wir heute möglichst viel Wissen über Kunden generieren – um über technologische Komponenten weiterhin das zu erfassen, was im digitalen Wandel zunehmend verloren zu gehen droht: den Menschen zu verstehen.
KI entwickelt sich rasant: Wie schaffen es Unternehmen da, der Entwicklung nicht hinterher zu laufen?
Recht einfach: Indem wir uns weiterhin auf die zentralen Herausforderungen beziehungsweise Chancen konzentrieren. Wir wollen neue Kund*innen gewinnen, bestehende besser verstehen und an uns binden, Innovationen entwickeln und gleichzeitig Qualität mit einem stimmigen Preisgefühl verbinden.
Die Frage ist: Wie kann Künstliche Intelligenz helfen, genau diesen Zielen positiv entgegenzuwirken? Gerade der Preis ist ein starkes Thema. Denn mithilfe von KI lässt sich sehr genau herausfinden, welche Produkte wirklich einzigartig sind, warum manche Produkte Ladenhüter werden, welche Produkt-Bundles besonders gut funktionieren können, welche Rabatte tatsächlich wirken – bis zu welcher Preisschwelle –, und welche nicht. In ersten qualitativen Tests, die ich mitbegleiten konnte, konnten so mehrere Prozent der geplanten Rabatte eingespart werden.
Das führt zu einem wichtigen Verständnis: KI-Technologie ist nicht eine weitere Baustelle neben vielen anderen, sondern kann uns helfen, die aktuellen Herausforderungen zu erleichtern. Und im Zweifel heißt das auch, erst mal keine organisationweite Transformation zu starten, sondern mit kleineren Organisations-Schnellbooten in den Gartencentern.
Wie verändern sich die Anforderungen der Kunden an den Handel?
Auf der einen Seite steht die von Kunden gewünschte Günstig-Kultur: Es gibt inzwischen eine Vielzahl an günstigen Angeboten für Pflanzen und Gartenmaterialien, die in ihrer Qualität durchaus wachsen, sei es über Online-Plattformen oder auch bei Discountern. Dieses Segment wächst weiter stark und gewinnt zunehmend Vertrauen – das kann gefährlich werden.
Auf der anderen Seite wächst der Drang nach strapazierfähiger Qualität: Langlebigkeit. In diesem Jahr haben wir extreme Wetterschwankungen erlebt, die Pflanzen stark fordern – und letztlich auch ins Geld gehen. Deshalb gewinnen Kriterien wie Widerstandsfähigkeit, Robustheit und Langlebigkeit noch mal stärker kommunikativ an Bedeutung.
Hinzu kommt: Wir müssen Garten neu denken. Mehr als die Hälfte der Deutschen haben keinen klassischen Garten, sondern Balkone. Das stellt sich die Frage, wo künftig zusätzliches Wachstum und vor allem Frequenz entstehen können. Daraus entstehen derzeit neue Mikromärkte: auf Balkonen, bei kleinteiligen oder hochspezialisierten Produkten – zum Beispiel neuartiger Lifestyle-Dünger oder Innovationen, die den Gartenalltag gesünder gestalten können.
Wie kann sich der Handel auf veränderte Kundenwünsche und Krisen einstellen?
Indem der Handel die Lösung nicht nur beim Kunden sucht. Wir sind nun mal in einer Zeit, in der gespart wird und in der vieles bewusster geschieht.
Natürlich können wir auf Konsumentenanforderungen reagieren – etwa, indem wir in geopolitisch unsicheren Zeiten Lokalität in allen Segmenten stärken oder durch ausgleichende Themenwelten neue Begehrlichkeit schaffen. 2026 ist stilistisch geprägt von eleganten, zurückgenommenen Farbkombinationen – und einem Hauch von exotischem Hedonismus, wie man ihn aus südeuropäischen Regionen kennt.
Wir können aber auch unsere Prozesse effizienter gestalten – und damit auch gezielt Einsparpotenziale für wirtschaftlich schwierigere Zeiten schaffen und faire Preise garantieren.
Die spannendsten Chancen liegen aber auch in neuen Wachstumsfeldern – besonders in Geschäftsmodellen, die im deutschen Handel bislang kaum bekannt sind. Wenn wir als Unternehmen das „Tor zum Kunden“ sind und sie wirklich verstehen und ihnen gute, relevante Angebote machen können, dürfen wir uns auch die Frage stellen: Wo kann ich im Leben meines Kunden noch eine Rolle spielen? Zum Beispiel: Was biete ich an, wenn jemand eine komplett eingerichtete Mietwohnung sucht – inklusive Balkon; welche Services kann ich für demografische Zielgruppen wie Senioren in Wohn- oder Pflegeeinrichtungen entwickeln; wie kann ich mein Wissen über Kunden an Hersteller rückkoppeln und Herstellern eine andere Bühne geben? Oder was lässt sich gemeinsam mit anderen Handelskooperationen aufbauen? Etwa über Shop-in-Shop-Konzepte, oder digitale VIP-Zonen in den Kunden-Apps.
Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, weniger über den klassischen Verkauf zum Kunden zu arbeiten. Dafür braucht es Kreativität – und vor allem ein klares Verständnis davon, wie andere globale Märkte bereits jetzt solche Wege gehen.
Wenn sich in der Gesellschaft, Technologie und der Wirtschaft gerade so viel verändert – muss es die grüne Branche dann eigentlich auch?
Ich wiederhole, kein Mensch möchte morgen so sein, wie er gestern war. Das gilt, wenn wir ehrlich sind, doch auch für Unternehmen. Auch wenn sich die Branche gern als behäbig beschreibt. Jeden Tag gibt es Veränderungen, sei es durch neue Personal-Einstellungen, digitale Prozesseinführungen und deren Weiterentwicklung, Überarbeitung von Sortimenten. Handel ist Veränderung – jeden Tag. Aber die bisher existenzverhaftende Frage „Muss mein Geschäftsmodell anders funktionieren“ mussten sich viele Anbieter nicht fundamental fragen. So langsam wird diese Frage wichtiger, und das ist nicht unbedingt schlecht. Dabei kommen spannende Gedanken heraus.
Sie haben verschiedene Forschungsreisen unternommen. Gibt es Beispiele, von denen der deutsche Gartenhandel lernen könnte?
Immer, Ich war in den letzten zwölf Monaten in neun Ländern. Und natürlich sind Innovationen aus der Branche wie tolle Garten-Experiences in Seoul, die ich mir anschauen durfte, oder digitale Tools in Skandinavien, gut. Aber spannend wird es mit Blick auf andere Branchen, wie Mode, Lebensmittel oder Consumer Electronics, denn es gilt Neues zu entdecken. Das gibt es nicht im eigenen Teich. Aber dazu dann im Vortrag mehr.
Dies ist die Langversion des Beitrags aus der Printausgabe diy 10/2025.