Die gute Nachricht zuerst: Ein Wandel hin zu einer nachhaltigeren Art des Bauens ist möglich. Davon sind Thorsten Hahn, Monika Dittrich und Dr. Martin
Bethke überzeugt. Der Holcim-CEO, die Leiterin des Forschungsbereichs Zirkuläre Systeme am Wuppertal Institut und der Gründer von Butterfly Effect Consulting haben sich in einer Studie mit der Transformation der Bauwirtschaft befasst und sind zu der Erkenntnis gelangt, dass die Kreislaufwirtschaft darin eine Schlüsselrolle einnimmt.
Digitale Gebäudepässe, Urban Mining, biobasierte Materialien und modulare Bauweisen sowie der Einsatz von Building Information Modeling und Lebenszyklusanalysen in Ausschreibungen – all das seien Maßnahmen, um das kreislaufwirtschaftliche Bauen in der Bundesrepublik nach vorne zu bringen und „ein Turbo für die Transformation zu werden“, so Hahn. Bis zu 60 Millionen Tonnen CO2-Einsparung, 66 Millionen Tonnen weniger Rohstoffverbrauch und eine Million Hektar weniger Flächenverbrauch bis 2045 versprechen sich die Forscher davon. Sie haben Handlungsfelder identifiziert, die diesen Wandel vorantreiben können.
Ein wichtiges Element darin ist das sogenannte Urban Mining. Hier werden bestehende, in die Jahre gekommene Gebäude als Rohstoffquelle genutzt. Die Baustoffe können wiederaufbereitet und für neue Projekte eingesetzt werden. Dieses Baustoffrecycling sei beispielsweise in Ländern wie der Schweiz bereits Standard, während man in Deutschland noch hinterherhinke, erläutert Hahn.
Zwar fokussiert sich die Studie auf die Aufträge der öffentlichen Hand, jedoch sieht er private Bauherren bereits in einer Vorreiterrolle. Hier herrsche großes Interesse an Kreislauf- und Rückbaufähigkeit: „Im Wesentlichen setzen private Investoren recycelte Baustoffe ein“, berichtet der Geschäftsführer des Baustoffproduzenten Holcim. Auch Dr. Bethke sieht mit etwa 100.000 privaten Ein- und Zweifamilienhäusern in Deutschland ein großes Potenzial. Und Dittrich ist überzeugt: „Hier ist ressourcenschonendes Bauen genauso möglich wie im öffentlichen Bausektor.“

Um das flächendeckend umzusetzen, bedarf es einer Strategie mit systematischer Erfassung und Bewertung von Daten für Urban Mining ebenso wie einer digitalen Infrastruktur und Transparenz, etwa durch den Aufbau von Materialpässen, Gebäudekatastern sowie Urban-Mining-Datenbanken, ist in der Studie zu lesen. Die Forscher fordern darüber hinaus verbindliche Rezyklatquoten, Materialvorgaben und die Pflicht zur Anfertigung von Lebenszyklusanalysen in Bauprojekten. Die Ideen für neue Technologien und Materialien sind da, wie Hahn beispielhaft an modernen Zementmischungen mit reduziertem Klinkeranteil oder dem Einsatz von CO2-reduziertem Leichtbeton mit Carbon-Fasern verdeutlicht. Finanzielle Anreize sehen die Studienautoren als einen weiteren Hebel, genauso wie die Wissensvermittlung zum nachhaltigeren Bauen.
Der Handlungsdruck sei enorm, unterstreicht Bethke, verbrauche die Bauwirtschaft doch 40 Prozent der vorhandenen Rohstoffe und trage einen großen Teil zum Verlust der Biodiversität in Deutschland bei. „Wie wir jetzt bauen, entscheidet über die Nachhaltigkeitsbilanz von morgen“, pflichtet ihm Hahn bei und hebt gleichzeitig die Hebelwirkung hervor, die seiner Einschätzung nach Investitionen in nachhaltige Konzepte bieten: Diese kurbelten die Nachfrage an und setzten dadurch Anreize für Unternehmen, weiter in umweltfreundliche Technologien zu investieren. „Nachhaltiges Bauen kann zum neuen Standard auf der Baustelle werden“, ist er überzeugt.
Der politische Rahmen sei bereits vorhanden, ergänzt Bethke. Jedoch hinderten fehlende Verbindlichkeiten aufgrund veralteter Normen und Bauordnungen sowie eine unzureichende Digitalisierung die Beteiligten an der Umsetzung der Ideen. „Wollen wir die Zukunft bauen oder Altes verwalten?“, so die rhetorische Frage des Unternehmensberaters. „Das 400 Milliarden Euro umfassende Sondervermögen der Bundesregierung zur Sanierung der Infrastruktur bietet eine historisch einmalige Chance“, sagt Hahn und hält fest: „Dazu muss die öffentliche Hand eine Vorreiterrolle bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsstandards, der Verwendung nachhaltiger Baustoffe und der Etablierung zirkulärer Baupraktiken einnehmen.“